Freitag, 18. Juni 2010

Willkommen in Frankfurt/W I

Ein Text von Peter Knorr, mit ganz großem Dank an Masma

Willkommen in Frankfurt!
Einige Hinweise für Zugereiste und Besucher dieser schönen Stadt.
Frankfurt lockt vielfältig, die Frankfurter gar nicht. Aktives Locken gilt dem Frankfurter als der möglicherweise nicht korrigierbare Auslöser für spätere Belästigungen. So blöd ist er nun auch wieder nicht, da bleibt er Hesse. Findet er allerdings Zugereiste und Neubürger in seinem Gemeinwesen vor, so ist das auch nicht weiter schlimm, in so fern Fremder bist du willkommen, dies sollte als Grund zur Freude erstmal genügen.
Aber Vorsicht! Wenn der Frankfurter etwas haßt - und Haß bedeutet hier so etwas ähnliches wie leicht negatives Interesse - dann ist dies unwürdiges Verhalten: Offensive Nettigkeit, näheheischende Herzlichkeit, unbegründete Heiterkeit und ostentatives Tüchtigkeitsgehabe. Dies alles gilt dem Frankfurter als der ebenso törichte wie durchschaubare Versuch einen zweifellos boshaften Charakter zu kaschieren. Der Frankfurter hat es nicht nötig. Geschwächt durch komplette Illusionslosigkeit fehlt auch den miesen Teilen seines Charakters jede Art von Nachdruck und alles mündet in beliebigem Geschwätz. Klaglos läßt er den gutwillig interessierten Neubürger daran teilhaben. Greift dieser allerdings vor Ablauf von fünf Jahren mit eigener Rede in das hessische Gebabbel ein, so hat er die herzliche Gastfreundschaft zur Unzeit überstrapaziert und sollte seinen Abgang planen.
"Lebe un lebe losse!" Dieser hochherzig tolerante Hessenspruch läßt sich nunmal nicht auf "Rede un rede losse!" erweitern.
Erzähl die spannendste aller Geschichten, den pfiffigsten aller Witze Neuling, am Ende wird man dich anstarren und einer wird sagen: "Un? Weider?"
Das schafft Heiterkeit und anschließend schwatzen sie dann wieder das Ihre. Dennoch bist du nicht unwillkommen, du Mundartbehinderter, auch wenn du gar nichts davon merkst. Sie sind tatsächlich tolerant, jedenfalls reicht es nicht zur Intoleranz. Mangels Interesse besteht dazu kein Anlaß. Es wäre auch zu mühsam in dieser Stadt der Mitte, wo Hochfinanz und Hochintellekt in stummer Verachtung koexistieren, wo schwarz und Rot und Grün sich froh mißbrauchen, wo noch der exotischste Tourist kaum eines Blickes gewürdigt wird, da hocken dennoch alle gern beim Apfelwein beisammen in blankgescheuerter Geselligkeit. Dort, Möchtegern-Frankfurter, darfst auch du deine Füße unter den Tisch strecken und wortlos die Eingeborenen verehren.
Die Vielfalt ihrer Küche: Rippchen mit Kraut, wahlweise Kraut mit Rippchen.
Ihre liebsten Kulturereignisse: Zum alten Bock, in der blauen Oper.
Und ihre erotische Selbsteinschätzung: "Wo Liebe, Glaube, Hoffnung herrscht, wird morjens, mittachs un abends gebörscht!"
Es herrscht hier nichts dergleichen und entsprechend tote Hose. Immerhin aber besteht die Weisheit der Frankfurter darin, daß sie sich für nichts besonderes halten. Nur wehe, es hält sich jemand für was besseres! Noch jeder, der das mainische Mittelmaß überragte und dafür unvorsichtiger Weise auch noch öffentliche Anerkennung suchte, hat diese Stadt verlassen. Hochkarätig Einsichtige haben sich damit abgefunden als "Simbel", oder - nicht ganz so hart - als "Aschlöscher" zu gelten. Die Neuen können also bleiben, sie tun zwar gut daran, weder Rat noch Tat zu erwarten, sich aber von dummdreisten Sprüchen nicht beeindrucken zu lassen.
Ein Frankfurter macht nunmal aus seiner Mördergrube kein Herz. Wird der Fremde erst einmal des Anstänkerns für würdig befunden, so ist ihm bereits menschliche Wärme widerfahren, er sollte sich zu den glücklicheren unter frankfurts Neubürgern zählen.

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